Freies Theater – worüber reden wir eigentlich?

21 November 2012

Die deutsche Theaterlandschaft ist geteilt: In das Traditionssystem der Repertoire-Betriebe und das international orientierte System der freien Produktionsweisen. HENNING FÜLLE blickt zurück auf die Geschichte des Freien Theaters im deutschsprachigen Raum seit den Siebzigerjahren – und fordert eine grundlegende kulturpolitische Neubewertung seiner zukünftigen Rolle.

Die deutsche Theaterlandschaft ist einzigartig auf der Welt. Diese von Kulturpolitikern und Feuilletonisten gern gebrauchte Feststellung meint die Besonderheit des „deutschen Systems“: etwa 150 Theaterhäuser mit angestelltem und besoldeten künstlerischen Ensemble und durchgehendem Repertoire-Spielbetrieb in allen Sparten der darstellenden Künste, in öffentlicher (kommunaler und staatlicher) Trägerschaft.
Doch einzigartig ist auch die Parallelstruktur des „Freien Theaters“, die sich seit Ende der Siebzigerjahre herausgebildet und inzwischen so weit etabliert hat, dass ihre Bedeutung und die Notwendigkeit ihrer Finanzierung wohlwollend anerkannt werden – vom Bericht der Kultur-Enquête des Deutschen Bundestages über Kernsätze von Bundespräsidenten bis hin zur länder- und bundesweiten Organisierung und Förderung aus öffentlichen Mitteln.
So ist die deutsche Theaterlandschaft auf merkwürdige Weise zweigeteilt – und auch darin einzigartig. Beide Systeme sind als (Interessen-)Verbände organisiert, beide existieren durch die Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, freilich mit mehr als markanten Unterschieden, was die Art und den Umfang der Finanzierung angeht.
Freies Theater als Parallelsystem der deutschen Theaterlandschaft ist ein Faktum. Doch mit seiner Durchsetzung und Anerkennung ist zunehmend unklar geworden, worin eigentlich die Besonderheit seiner Funktion und Bedeutung besteht.

Freie Gruppen in den Siebzigerjahren
In den Siebzigerjahren war das in der BRD noch ziemlich klar: Als „frei“ bezeichneten sich Theatergruppen, die außerhalb des institutionellen Systems der „autoritär“ regierten bürgerlichen Bildungstempel Theater für ein Publikum spielten, das von den Veranstaltungen der Hochkultur nicht erreicht wurde. Ihre Theaterarbeit bestand vor allem darin, politische, gesellschaftskritische und emanzipatorische Impulse zu vermitteln, eng verknüpft mit Strategien zur Umwälzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die aus der antiautoritären Jugendrevolte der späten Sechzigerjahre hervorgegangen waren. Sie nannten sich selbst „Freie Gruppen“, die – gebildet aus Aussteigern aus dem bestehenden Theatersystem und Amateuren – subversives „Volkstheater“ für Zielgruppen jenseits des bildungsbürgerlichen Horizontes machen und sich dabei auch selbst solidarisch, gemeinschaftlich und hierarchiefrei organisieren wollten. Die Rote Rübe und Theater K, die Zentrifuge, Transparent oder auch Hoffmanns Comic Teater und nicht zuletzt das Kindertheater des Reichskabarett, aus dem das Berliner Grips Theater hervorging, waren einige dieser etwa 30 Gruppen, über die z.B. beim Theaterpädagogischen Kongress 1973 in West-Berlin diskutiert wurde und die 1974 auf dem Frankfurter Festival argumenta (das die experimenta der Sechzigerjahre ablösen wollte) vertreten waren.

Freie Szene: Die Achtzigerjahre
Schon die „Freie Szene“, die zum Ende der Siebziger und in den Achtzigerjahren entstand, unterscheidet sich erheblich von diesen frühen freien Gruppen: Sie entwickelte sich im Zusammenhang mit der Herausbildung der „Alternativbewegung“ und als deren Bestandteil, für die der TUNIX-Kongress 1978 in West-Berlin ein zentrales Fanal war: so wie für die Kindererziehung, die Schule, die Versorgung und Heilung von Kranken, die mediale Kommunikation, die Ernährung und den Umgang mit den natürlichen Ressourcen (und viele andere Bereiche) alternative Formen gesucht und praktisch-ausprobierend entwickelt wurden – als Modelle für eine andere Gesellschaft – fanden sich Gruppen, die Alternativen zum traditionellen Theater suchten und versuchten: Clownstheater, Animationsspiele, Straßen- und Wandertheater, sowohl für „theaterfernes“ Publikum als auch für die rasant wachsende Alternativ-Szene und ihre Aktionen und Zusammenkünfte selbst.
Vor allem erste internationale Festivals (wie das Münchner Theaterfestival schon ab 1977, und das Sommertheater-Festival auf Kampnagel in Hamburg ab 1983) trugen zur künstlerischen Weiterentwicklung der Szene bei. Anders als in Deutschland, wo der Begriff des Theaters fest mit der Tradition des literarisch orientierten Bildungstheaters verschweißt war, hatten sich in Frankreich, England, Italien, den USA und anderen westlichen Ländern, aber auch in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg neue ästhetische Formen der Bühnenkunst herausgebildet: Das Living Theatre, LaMama, Peter Brook, Ariane Mnouchkine, Richard Schechner, Eugenio Barba, Jerzy Grotowski, Tadeusz Kantor und viele andere entwickelten künstlerische Umgänge mit dem ehrwürdigen Medium, die sich ästhetisch oder politisch (oder beides) durch höchste Aktualität und Relevanz im Hinblick auf zeitgenössische, gesellschaftliche und kulturelle Fragen und Konflikte auszeichneten: Ob es der Vietnamkrieg war oder die Verklemmtheit der Individuen in den Strukturen der bürgerlichen Kleinfamilie: im Ausland entstanden Theaterarbeiten, die – wenn sie nach Deutschland kamen – atemberaubende und fassungslose Bewunderung (oder auch schockierte Ablehnung) auslösten; und die beispielhaft und beispielgebend wirkten, was die Ausdrucks- und Wirkungsmöglichkeiten von Theater anging.
„Das wollen wir auch (können)“ – die Achtziger- und frühen Neunzigerjahre waren das Jahrzehnt, in der sich Angehörige und Anhänger der westdeutschen Freien Szene, Autodidakten oft oder meist, in zahllosen Workshops qualifizierten und professionalisierten, um solches Theater auch in Deutschland zu entwickeln und zu zeigen.

Freies Theater – alternative Produktionsweise
So entstand auch in Westdeutschland allmählich eine Theaterszene, der es vor allem um künstlerische Zeitgenossenschaft ging; und die fand in den ersten Produktionshäusern ihre ersten – prekären – Arbeits- und Auftrittsmöglichkeiten.
Der Anspruch auf künstlerische, ästhetische Zeitgenossenschaft und Relevanz stand von Anbeginn in engem Zusammenhang mit alternativen Produktionsweisen von Theater, die dafür als unabdingbare Voraussetzung galten: Mit dem Bestehen auf Souveränität in allen künstlerischen, materiellen und Personal-Entscheidungen waren sie frei von den Zwängen der Repertoire- und Ensemblepolitik der Häuser, dem Entscheidungsmonopol von Intendanten; die Projektorientierung stand für die Souveränität in allen thematischen, inhaltlichen und nicht zuletzt auch in der Frage der als notwendig angesehenen Produktionszeiten. Allerdings wurden die Ansprüche der Freien Szene auf solidarische Gleichberechtigung und Kollektivität sowie der Anspruch auf die Gemeinsamkeit von „Leben und Arbeiten“, die die Normative der Freien Szene der Achtzigerjahre noch geprägt hatten, bald aufgegeben.
Das Freie Theater professionalisierte sich, entwickelte sich auch künstlerisch weiter, differenzierte sich und mit der „Eroberung“ von regelmäßiger Förderung (West-Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, München), der Etablierung erster Produktionshäuser (Kampnagel, Mousonturm, Pumpenhaus Münster, Theatermanufaktur/Theater am Halleschen Ufer West-Berlin, das neue TaT in Frankfurt) und ersten regelmäßigen Festivals – seit 1990 neben den schon genannten auch Impulse – und wurde zum kulturpolitischen Fakt.
Daneben bestanden und bestehen viele der Ansätze der Freien Szene der Achtzigerjahre fort und entwickelten sich weiter: Vor allem die breite Etablierung von eigenständigem Kinder- und Jugendtheater ist aus diesen Impulsen entstanden; das Puppen- und Figurentheater als eigenständige Kunstform erfuhr eine kräftige, bis heute wirksame Belebung, die mit der deutschen Wiedervereinigung durch die in der DDR gepflegte Tradition kräftig gestärkt wurde. Und auch Kabarett und Kleinkunst wurden in den späten Siebzigern gleichsam runderneuert durch Gruppen wie die Drei Tornados, Heinrich Pachl und der Wahre Anton, Matthias Beltz mit Karl Napps Chaos Theater und dem Vorläufigen Frankfurter Fronttheater und vielen anderen.
Auch im Feld des Staats- und Stadttheaters entwickelte sich die Kunst weiter, wenn auch in merkwürdigem Verhältnis von wenigen Zentren, in denen sich neue künstlerische Ansätze durchsetzten und der großen Mehrheit der Häuser, die weitgehend unbeeinflusst ihr Bildungstheater weiter betrieben: an der Berliner Schaubühne und wenigen Orten, an denen risikobereite Intendanten Regisseure wie Zadeck, Neuenfels, Peymann und aus der DDR ausweichende renitente Brecht-Schüler (im weitesten Sinne) arbeiten ließen. Und nach der Wende setzte die Schule der Dekonstruktion zumal mit Frank Castorf an der Berliner Volksbühne neue künstlerische Maßstäbe.
Die nachwachsenden Generationen von Schauspiel- und Regie-SchülerInnen wurden von solchen zeitgenössischen Vorbildern beeinflusst und einzelne entwickelten bereits in ihren Ausbildungsgängen entsprechende Ideen zeitgenössischer Theaterkunst, die sich von den überkommenen Traditionen abwandten. Hans-Thies Lehmann hat die neuen Formen in seinem Opus Magnum “Postdramatisches Theater” bechrieben und der neuen Ästhetik damit die begriffliche Fassung gegeben. Dieser Trend wurde insbesondere verstärkt durch die Einrichtung des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen (durch den polnischen Kantor-Schüler und ersten Vermittler der performativen Theaterkunst Richard Schechners und Robert Wilsons: Andrzej Wirth), die Neuorganisierung des kulturwissenschaftlichen Studiums an der Universität Hildesheim (Kurzenberger, Gromes), die Einrichtung des Regieinstituts durch Jürgen Flimm und Manfred Brauneck an der Hamburger Universität.
In den Neunzigerjahren wuchs so eine junge Generation von professionell ausgebildeten Theatermachern heran, die zwar mit der Freien Szene wenig am Hut hatte, deren Räume und Förderstrukturen aber nutzte, um ihre ersten künstlerischen Schritte zu tun – mit nachhaltigen Wirkungen bis heute, von René Pollesch, Rimini Protokoll bis She She Pop, Nicolas Stemann, Falk Richter und Matthias von Hartz, der inzwischen zum einflussreichen Kurator und Festivalleiter (Kampnagel Sommerfestival, Impulse und jetzt Foreign Affairs) anvanciert ist.
Damit gibt es heute ein Feld von TheatermacherInnen und –gruppen, die „frei“ produzieren, die projektorientiert und in künstlerischer und organisatorischer Souveränität arbeiten; die sich zumindest anfangs, manchmal auch halbwegs dauerhaft, über die Fördersysteme für Freies Theater finanzieren. Und dieses Feld erneuert sich stetig, teils aus den genannten Ausbildungsgängen, teils aber auch immer noch aus künstlerischen Impulsen, aus der Musik, der Bildenden Kunst, der Literatur etc. Dieses Feld ist höchst produktiv und innovativ und manche der Gruppen schaffen es zu halbwegs sicheren Förderperspektiven bzw. an einige Stadttheater, die dieses Potenzial künstlerischer Zeitgenossenschaft und Innovation an sich binden.
So hat sich aus der Freien Szene eine breit gefächerte Struktur von Kinder- und Jugendtheater, Puppen- und Figurentheater, Straßentheater (im öffentlichen Raum), soziokulturellen Theatergruppen, aber auch frei produzierenden Künstlergruppen entwickelt, die zeitgenössische ästhetische – oft oder zumeist postdramatische – Theaterformen vertreten und auch in den großen Feuilletons und international wahrgenommen werden.

Paralleluniversum
Seit den Neunzigerjahren besteht in Deutschland dieses Parallelsystem der freien Theaterproduktion, das neben Künstlern und Künstlergruppen auch die Produktionshäuser, die Landesverbände und den Bundesverband der Freien Theater umfasst; das von kommunalen, Landes- und Bundes-Förderstrukturen getragen wird, dem eigene Festivals gewidmet sind und in denen die „künstlerische performative und Theateravantgarde“ funktionieren kann. Dieses Paralleluniversum ist international orientiert und hat inzwischen auch Anschluss an die internationalen Entwicklungen der zeitgenössischen Theaterkunst gefunden.
Anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen – wie z.B. im Sozial- und Erziehungswesen, in der Medienpolitik oder auch im Ernährungswesen und der Energiepolitik, wo die Modernisierungsimpulse der Siebziger- und Achtzigerjahre zu ziemlich nachhaltigen Veränderungen der Mainstreamstrukturen geführt haben – ist das deutsche Theater in seiner herkömmlichen Struktur von seinen Sachwaltern ziemlich erfolgreich gegen die Impulse der Erneuerung verteidigt worden. Die streckenweise verbissene Abwehr – wer die Repräsentanten des Deutschen Bühnenvereins dazu verfolgt, weiß, wovon die Rede ist – hat zu den Parallelstrukturen geführt, die wir jetzt vorfinden. Es spricht allerdings für die Kraft und das Potenzial der alternativen Ansätze, dass sie immerhin eine gewisse Stabilisierung erreicht haben, die ihnen den Status einer Parallelwelt und eine ihren Möglichkeiten entsprechend große Aufmerksamkeit verleiht: She She Pop beim Theatertreffen, René Pollesch an der Volksbühne, Rimini Protokoll als Exportartikel auf der ganzen Welt (und Christoph Marthaler und seine „family“ müsste man eigentlich auch hinzuzählen) repräsentieren zeitgenössische Produktionsweisen und Theaterästhetiken, die im Parallelsystem der „Freien“ entwickelt worden sind und für die an Stadt- oder Staatstheater nur mühsam und in der Regel nur wegen der hellsichtigen und unbeugsamen Überzeugung einiger weniger Intendanten und Kuratoren der Raum freigeschaufelt wurde, den diese Künstler für ihre Arbeiten brauchen.
So ist die deutsche Theaterlandschaft geteilt: in das Traditionssystem der Repertoire- und Ensemble-Betriebe und das System der freien Produktionsweisen, in dem die künstlerischen Modernisierungs-, Innovations- und Erneuerungsimpulse der Theaterkunst und die Anstrengungen, Publikum jenseits der bildungsbürgerlichen Schichten zu erreichen, eingehegt sind.

Worüber wir reden müssen
Und in dieser Teilung liegt das zentrale Problem.
Die zeitgenössische Modernisierung der Theaterkunst hat sich in Deutschland parallel zum traditionellen Theatersystem entwickelt und ihre Protagonisten arbeiten nach wie vor unter den prekären Bedingungen einer – im Vergleich zur Finanzierung der Stadt-und Staatstheater – Nischenförderung.
Die Form des literarischen Bildungstheaters mit festem Ensemble und Repertoire-Spielplan (und die entsprechenden Produktionsweisen) gelten in Deutschland nach wie vor als „das Theater“ schlechthin – auch wenn dieses „Kerngeschäft“ an einigen Orten auszufransen beginnt. Die Förderung der neuen Produktionsweisen und Verständnisse dessen, was zeitgenössische Theaterkunst heute sei, bleibt in Randbereiche abgedrängt.
Darüber müssen wir im Übrigen auch deshalb reden, weil die Allgemeinheit der Steuerbürger Institutionen finanziert, die nur von lediglich einer verschwindenden Minderheit in Anspruch genommen werden (das war schon immer so), und deren Legitimität immer stärker bezweifelt oder sogar in Abrede gestellt wird – deren Erneuerung ins Zeitgenössische und Öffnung für die nachwachsenden Generationen in absehbarer Zeit zur Existenzfrage wird.
Deshalb müssen die Monopolisten des Stadttheaters, ihre Sachwalter, Lobbyisten und Funktionäre von ihrem hohen Ross – „Wir sind Theater und (dieses) Theater muss sein!“ – herunter. Die Frage, welches Theater wir heute und für die Zukunft brauchen, wie und wo und unter welchen Bedingungen das entstehen kann, steht auf der Agenda – aber das Gespräch darüber kommt kaum voran.
Wir brauchen zeitgenössische und avantgardistische Theaterkunst, wir brauchen durchaus auch die Tradition (oder deren Museum), wir brauchen die flächendeckenden Angebote des Kinder-und Jugendtheaters und der kulturellen Bildung für alle; wir brauchen das alles, bei begrenzten und relativ schwindenden Finanzmitteln; und da stehen dann die Stadttheater und verkünden: machen wir doch alles!! Doch diese Arroganz verkennt, dass das Traditionssystem sich lediglich unter dem Druck gesellschaftlicher und künstlerischer Entwicklungen und nur sehr vereinzelt für diese Aufgaben geöffnet hat.
Theater ist – das hat in Deutschland mühsam und zumeist angeregt durch internationale Vorbilder die Freie Szene gelehrt – weit mehr als das Kulturgut der Verkörperung von zu Klassik abgehangenem literarischem Repertoire und ein paar Uraufführungen zeitgenössischer Dramatik; vielmehr hat Theater sein Potenzial als Medium substanzieller gesellschaftlicher Selbstreflexion in Deutschland erst durch die Freie Szene, die die Impulse zeitgenössischer Theaterkunst, die international entwickelt wurden aufgenommen hat, zurückgewonnen. Die Künstler und die Produktionsweisen, die die Grundlage und die Voraussetzung dieser künstlerischen Arbeit bilden, müssen nicht nur wohlwollend als Bestandteile, Momente der Theaterlandschaft anerkannt, sondern systematisch gefördert und entwickelt werden, um dieses Potenzial zu stabilisieren und zu entfalten. Es kann nicht dabei bleiben, das Parallelsystem der freien Produktionsweisen lediglich am Katzentisch der Kulturpolitik prekär am Leben zu erhalten. Es reicht auch nicht aus, wenn wenige mutige Intendanten ihre Häuser mühsam für wenige frei produzierende Künstler öffnen, das Traditionssystem aber insgesamt seine Krise als Kulturvergessenheit der Politik beklagt, ohne zu registrieren, dass sich in Durchsetzung von Einsparungen der in der Öffentlichkeit zunehmende Eindruck von Irrelevanz der Theaterbetriebe spiegelt.
Die spezielle deutsche Teilung der Theaterlandschaft wird zunehmend zum Problem und zwar nicht nur für die Protagonisten des Freien Theaters, sondern für das Theater insgesamt. Seine späte Modernisierung, der späte Anschluss an die internationalen Entwicklungen der Zeitgenossenschaft, droht in einer kulturpolitischen Blockade stecken zu bleiben, allen Sonntagsreden über die Anerkennung des Freien Theaters zum Trotz.
Darüber müssen wir reden.

Henning Fülle ist freier Dramaturg in Berlin, Lehrbeauftragter am Fachbereich Szenografie/Ausstellungsdesign der Karlsruher Hochschule für Gestaltung und schreibt derzeit eine Doktorarbeit zur Geschichte und Bedeutung des Freien Theaters in Deutschland seit den Siebzigerjahren bei Prof. Wolfgang Schneider, Hildesheim. Für das Theater hat er u.a. mit Jo Fabian, in seiner Zeit als Dramaturg auf Kampnagel u.a. Absolventen des Regieinstituts der Uni Hamburg und des Gießener Studienganges für angewandte Theaterwissenschaft und zuletzt mit Ingrid Lausund gearbeitet. Auf Kampnagel war er neben seiner Funktion als Spielplan- und Produktionsdramaturg auch Ko-Leiter des Nachwuchsfestivals Junge Hunde. In den Neunzigerjahren war er als freier Kurator u.a. für die Berliner Festspiele und die Akademie der Künste tätig.

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