Topografie einer kulturpolitischen Landschaft

9 Juni 2016

Dana Yahalomi/Public Movement im Gespräch mit Florian Malzacher und Kathrin Tiedemann

Schon der Name Eurer Gruppe – Public Movement – verweist auf Euer Interesse an der Rolle von Öffentlichkeit und politischen Gesten, Ritualen und Vorgängen. Wie würdest Du den Kern Eurer Arbeit beschreiben?

Public Movement ist eine Forschungs- und Aktionseinheit mit einer spezifischen Begrifflichkeit, häufig sehr allgemeinen Namen und Titeln wie „Public Movement“, die uns erlaubt, in unterschiedlichen Zusammenhängen und Einheiten zu agieren und aufzutreten. In manchen Fällen treten die Mitglieder von Public Movement selbst in Erscheinung. Wir arbeiten als ausgebildete Gruppe von Tänzern und Performern seit zehn Jahren zusammen. Zuletzt haben wir die Performanceausstellung „National Collection“ im Tel Aviv Museum of Art gemeinsam entwickelt und ausgeführt: Eine Reihe unterschiedlicher Rituale und Choreographien, die sich auf das Museum und seine historische Rolle bei der Produktion nationaler Identität und seine aktuelle politische Wirkung bezogen. In anderen Zusammenhängen inszenieren wir eher Situationen, Foren für ein Publikum, mit dem Ziel, Öffentlichkeit herzustellen und öffentliche Bewegungen darzustellen wie bei einer Aktion, die wir vor einigen Jahren für die Universität Heidelberg erarbeitet haben. Hier wurde das Publikum aktiver Teil einer Widerstands-Performance, einer Aktion, die einer genauen Partitur folgte. Oder „Positions“, das wir in New York im Rahmen von Performa 2011 und im Van Abbemuseum in Eindhoven aufgeführt haben: Eine Choreografie für eine Demonstration, bei der die Zuschauer zu unterschiedlichen politischen Themen Stellung beziehen mussten, indem sie sich jeweils anhand einer Ja/Nein-Linie positionierten. Bei der dritten Art von Aktionen geht es um die Beobachtung unterschiedlicher Phänomene des sozialen und politischen Lebens: öffentliche Bewegungen auf Straßen und Plätzen. Das beste Beispiel dafür ist das Projekt „Erste Mai Unruhen“, für das wir uns in 2010 den Unruhen in Berlin Kreuzberg angeschlossen haben. Wir haben nicht direkt eingegriffen, sondern dem Geschehen auf der Straße lediglich ein paar Kopfhörer hinzugefügt: Die Zuschauer konnten zwischen fünf Audio-Kanälen wählen, wodurch die Situation unterschiedlich wahrgenommen oder kommentiert wurde. Die Ebene der physischen Teilnahme an einer Demonstration wurde durch eine konzeptuelle Ebene gerahmt und verfremdet.

Gab es eine bestimmte politische Erfahrung, ein Ereignis, das zur Gründung von Public Movement geführt hat?

Die Frage lässt sich auf zweierlei Weise beantworten. Als Omer Krieger und ich Public Movement 2006 gegründet haben, war der Anlass nicht ein einzelner Grund oder Auslöser, sondern eher eine Ansammlung von Erfahrungen. Vielleicht lag es auch daran, dass wir uns an sozialen und politischen Bewegungen beteiligten, als wir jünger waren, oder dass wir beide Geschichte und Philosophie studierten oder an einem unausgesprochenen Interesse an Konflikten und Politik. Dieser gemeinsame Hintergrund war ein starker Antrieb. Auf jeden Fall haben uns die Reaktionen auf unsere erste Aktion darin bestärkt, weiterzumachen. Bei „Accident“ ging es um zwei synchronisierte Unfälle von je einem Auto und einem Fußgänger. Wir fragten ungefähr zehn Freunde und Kollegen, ob sie uns bei der Realisierung helfen würden. Als es so weit war, kamen ihnen plötzlich Bedenken und wir mussten die Aktion abbrechen. Es gab einen großen Streit darüber, dass die Aktion zu real war, dass nicht genügend deutlich wurde, dass es sich um Kunst handelte. Es ging um die Frage, ob es ethisch in Ordnung sei, etwas zu kreieren, das sich nicht unmittelbar einordnen und als Kunst verstehen lässt. Uns wurde bewusst, dass wir eine eigene Gruppe von Körpern und Denkern brauchen würden, um genau diese Frage zu untersuchen: Wie lassen sich die Unterschiede zwischen Kunst und Politik immer weiter verwischen?

Folgt daraus, dass Eure Arbeit immer sehr kontext- und ortsspezifisch ist?

Wir entwickeln unsere Methode hinsichtlich des spezifischen Kontexts und Inhalts der Arbeit jedes Mal neu. So gesehen haben wir keine „fertigen Produkte“, die wir immer wieder zur Aufführung bringen. Im Laufe von zehn Jahren haben wir vielleicht fünf Aktionen erarbeitet, die man auch an anderen Orten wiederholen kann. Die meisten Aktionen entstehen für einen ganz bestimmten Ort und Diskurs.

Du verwendest gelegentlich den Begriff „Service“ für Deine Arbeiten. Die meisten Künstler würden ihre Arbeit nicht als Dienstleistung für andere bezeichnen.

Das Konzept des Service kommt durch unsere Arbeitsweise ins Spiel. Häufig werden wir von einer Institution – einem Museum, einer Biennale, einem Festival – eingeladen, eine Recherche durchzuführen und einen Vorschlag für einen spezifischen Zusammenhang zu machen. So gesehen bieten wir einen Service an: Wir versuchen mittels einer Recherche zu verstehen, was vor Ort gerade akut ist. Worin besteht die politische Unruhe, welche Art Traumata gibt es, welche Tabus existieren, was muss angesprochen werden oder in eine Form gebracht werden? Es geht also um einen Prozess des gemeinsamen Nachdenkens, den wir im Sinne eines Service initiieren und unterstützen.

In Deutschland gibt es vor allem im Theater im Moment eine recht lebendige Diskussion über die Nützlichkeit der Kunst. Wie siehst Du die Verantwortung von Kunst in fragilen Gesellschaften und aufgeheizten politischen Situationen? Und worin könnte die Gefahr bestehen, als Künstler für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden?

Mich interessiert Kunst, die sich als nützliches Werkzeug versteht, um Diskussionen und Aufmerksamkeit zu erzeugen und vorgefertigte Vorstellungen und Meinungen infrage zu stellen. Aber wir identifizieren uns nie mit einem politischen Zweck. Von daher ist unser Service nie durch ein bestimmtes politisches Anliegen motiviert, dem wir unsere Aktionen unterordnen. Da liegt auch ein deutlicher Unterschied zur aktivistischen Kunst, die sich mit den Mitteln der Kunst für ein konkretes politisches Anliegen engagiert.

Siehst Du Public Movement in der Tradition von Künstlern wie Mierle Laderman Ukeles, die in den 1970er Jahren das Konzept der „Maintenance Art“ entwickelte, eine konzeptuelle, feministische Kunst, die sich Fragen des Gemeinwohls, der Fürsorge, des Service widmete. Oder die Artist Placement Group, die auch in NRW daran arbeitete, Künstler konkret in politische Strukturen oder wirtschaftliche Betrieben zu integrieren?

Die Einbeziehung von Künstlern in soziale Prozesse und wirtschaftliche Realitäten, die unser öffentliches Leben beeinflussen, wie durch die Artist Placement Group, ist für uns eine große Inspiration. Ein weiterer Aspekt, der uns verbindet, ist dass sie sich zwar tief in Politik und Wirtschaft hineinbegeben, aber nie öffentlich Partei ergriffen haben. Ähnlich sehen wir uns auch in der Tradition von Mierle Laderman Ukeles’ Performances und Manifesten – vor allem in der körperlichen Berührung, beispielsweise als sie über Jahre hinweg die Hände aller Mitarbeiter der New Yorker Müllabfuhr geschüttelt hat.

„Macht Kunst Politik!“ arbeitet mit dem Verwischen der Grenzen zwischen Kunst und Politik. Es ist vermutlich diejenige Eurer bisherigen Arbeiten, die am stärksten einer tatsächlichen politischen Veranstaltung ähnelt. Wie positionierst Du dieses Projekt im Kontext Deiner Arbeiten?

Unser Ziel ist es, eine Veranstaltung zu entwickeln, die von einem lokalen Begehren ausgeht – und in diesem Sinne kann man das Projekt als nützlich oder als eine Art Dienstleistung verstehen. Es basiert auf einer Methode, die ich vor einem Jahr in Helsinki entwickelt habe, als es darum ging, mit einem dortigen Team die unklaren kulturpolitischen Pläne vor den Parlamentswahlen in Finnland zu klären. „Macht Kunst Politik!“ ist eine performative, diskursive Veranstaltung, die kurzfristige Beziehungen zu Politikern aufnimmt und hofft, damit hilfreich zu sein – sowohl für die Politiker als auch für die Bürger – um besser die jeweiligen kulturpolitischen und kunstpolitischen Pläne zu verstehen, für die sie eintreten. Es ist eine Versammlung, die dazu einlädt, vorgefertigte politische Vorlieben beiseite zu stellen und genau auf die Vorschläge zu hören, die gemacht werden. Wir versuchen eine Topografie der Kulturpolitik in NRW zu erstellen, um zu verstehen, was die einzelnen Parteien tatsächlich vorschlagen.

Du hast von Anfang an klargemacht, dass die rechts-populistische Partei AfD dabei sein muss – was von einigen Beteiligten durchaus skeptisch beurteilt wird. Selbst für uns, die wir davon ausgehen, dass – um es mit Chantal Mouffes Begriff zu sagen – Theater eine agonistische Arena sein sollte, in der auch miteinander unvereinbare Positionen aufeinander treffen, haben wir das lange diskutiert. Warum hältst Du es für notwendig, die AfD zu diesem Projekt einzuladen?

Die AfD gehört ganz unübersehbar zur aktuellen politischen Landschaft in Deutschland. Nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt, dass rechtsgerichtete Parteien derzeit überall in Europa großen Zulauf haben. Im Wesentlichen geht es in „Macht Kunst Politik!“ darum, das gesamte politische Spektrum der Kulturpolitik in NRW zu skizzieren. Es wäre nicht sinnvoll, diesen Teil der politischen Landschaft zu ignorieren. Gleichzeitig ist es notwendig, dass die Wähler verstehen, wofür diese Partei eintritt. Diese Position nicht zu diskutieren, würde die Situation nur verschlimmern. Wir wollen versuchen, die Motive des rechten Spektrums zu verstehen, wonach sie suchen und auf welche Weise sie unser Leben beeinflussen könnten. Das soll Bestandteil des Abends sein – aber es ist kein Abend über die AfD. Es ist ein Abend für alle politischen Parteien, die hier im Spiel sind und eine Chance haben, bei den kommenden Wahlen gewählt zu werden.

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