Impulse Theater Festival 2016 – Programm

12 Mai 2016


Start cooking … Recipe will follow

Unübersichtlich ist noch ein Euphemismus: Politisch, sozial, egal, wohin man schaut: Die Lage ist nicht gut. Was aber noch schlimmer ist: Es fällt schwer, Konsequenzen daraus zu ziehen. Handeln scheint nötig – aber wie? Und: Was wäre die dem Theater adäquate Form?
Das freie Theater ist, wie die gesamte Gesellschaft, auf der Suche nach Standpunkten, von denen aus wir auf die Gegenwart blicken können. Von wo aus wir den nächsten Schritt planen könnten.

Die zum diesjährigen Festival eingeladenen Arbeiten aus dem deutschsprachigen Raum betrachten diese Gegenwart mal dokumentarisch, mal analytisch, mal konzeptig klar, mal poetisch imaginierend: Gintersdorfer/Klaßen, die wieder mit großem Ensemble aus ivorischen und deutschen PerformerInnen, TänzerInnen und MusikerInnen vertreten sind, untersuchen in der Eröffnungsproduktion „Der Botschafter“, wie koloniale Strukturen bis heute nachwirken – eine Frage, die auf ganz andere Weise auch die jungen Theatermacher Julian Warner & Oliver Zahn in „Situation mit Doppelgänger“ stellen.

Der Krieg im Nahen Osten, der immer näher kommt, ist Gegenstand zweier weiterer Einladungen: Während die Choreographin Christine Gaigg / 2nd nature gemeinsam mit dem Komponisten Klaus Schedl in „untitled (look, look, come closer)“ vor allem die mediale Wahrnehmung des Krieges untersucht, hat die COSTA COMPAGNIE für „Conversion / Nach Afghanistan“ Wort, Ton und Bild am Hindukusch gesammelt, mit denen sie den Krieg, seine Auswirkungen und Verwicklungen an die Zuschauer weitergibt.

Rimini Protokoll-Regisseur Daniel Wetzel setzt der lauten Diskussion um Geflüchtete eine sehr ruhige und zugleich spielerische Arbeit entgegen: Bei „Evros Walk Water“ (nach John Cages „Water Walk“) werden die Zuschauenden zu Stellvertretenden von abwesenden, geflüchteten, in Griechenland gestrandeten Jugendlichen. Der Fluss Evros – als eine der Grenzen der Festung Europa – steht auch im Mittelpunkt von andcompany&Co.s Hörspiel „Orpheus in der Oberwelt. Eine Schleppproper“, das in Kooperation mit dem WDR während des Festivals gesendet wird. In ihrer Filminstallation „Occupy, Resist, Produce“ geben Dario Azzellini und Oliver Ressler Einblicke in drei von zuvor entlassenen Arbeitern besetzte europäische Fabriken.

Unterdessen wird Religion immer wirkmächtiger: Boris Nikitin wählt in „Martin Luther Propagandastück“ einen Gottesdienst für die aufgeklärte weiße Mittelschicht als Medium für Manipulation, Glauben und die Suche nach der eigenen Handlungsfreiheit. Dass auch das vermeintlich Private immer politisch bleibt, zeigt She She Pop gemeinsam mit SchauspielerInnen der Münchner Kammerspiele in „50 Grades of Shame“ Sexualität und Körper sind stets auch geschichtliche, soziale Konstruktionen und eine Frage der Macht. In „Noise“, einer Arbeit von Sebastian Nübling und dem jungen theater basel, stehen ebenfalls Körper im Mittelpunkt. Für die Jugendlichen auf der Bühne ist politische Bewegung immer auch körperliche Bewegung – energetisch, schnell und laut. Lassen sich der Neoliberalismus und seine verlogenen Freiheitsversprechen so beschleunigen, dass sie sich selbst mit Karacho gegen die Wand fahren?

So tritt plötzlich die Zukunft durch die Hintertür herein, zumindest als Denkfigur. Im Rückblick wird klar geworden sein, was wir gerade erleben: nur eine Episode oder eine Zeitenwende, den Vorabend zur Katastrophe oder zur Rettung? Im Raum der Black Box inszeniert Ariel Efraim Ashbel and friends mit „The Empire Strikes Back: Kingdom of the Synthetic“ eine künftige Landschaft in Schwarz, in der Zukunftsvisionen vergangener Zeiten widerklingen und Konzepten von Rasse, Identität und kultureller Herrschaft der Krieg erklärt wird.

Als eines der drei internationalen Auftragswerke, die Impulse in den drei Partnerstädten initiiert, imaginiert Nature Theater of Oklahoma für sein Live-Filmprojekt „Germany Year 2071“ ein Deutschland, in dem Revolutionen kommen und gehen, Außerirdische erst willkommen geheißen und dann verwurstet werden. Dabei wird für die New Yorker die Kamera zum Mittel, alle Kölner ZuschauerInnen und PassantInnen konsequent mit einzubeziehen. Der fertige Film wird dann im kommenden Jahr bei Impulse 2017 uraufgeführt. Das Drehbuch wird Ulrich Blumenbach, der kongeniale David Foster Wallace-Übersetzer, ins Deutsche übertragen.

Die im vergangenen Jahr ins Leben gerufene Silent University Ruhr in Mülheim – eine vom kurdischen Künstler Ahmet Öğüt initiierte alternative Universität für geflüchtete AkademikerInnen – wird eingebettet in eine internationale Sommerakademie. Unter dem Titel „Learning Plays“ kommen in Mülheim vier künstlerinitiierte Schulen, Akademien und Theorieplattformen erstmals zusammen: das Performing Arts Forum – PAF aus St. Erme, die School of Engaged Art des St. Petersburger Kollektivs Chto Delat, die Vierte Welt aus Berlin und die Silent Universitys aus London, Stockholm, Hamburg, Athen, Amman und Mülheim an der Ruhr. Abschließend wird der Kreis im Rahmen eines performativen Symposiums die Frage nach anderen, radikalen Formen von Bildung und dissidenter Teilhabe stellen.

Dass Kunst oft den unmittelbaren Kontakt mit der Realpolitik vermeidet, nimmt die israelische Choreographin Dana Yahalomi von Public Movement zum Anlass, ein sehr konkretes Treffen von Kunst und Politik zu initiieren. „Macht Kunst Politik!“ lädt einflussreiche PolitikerInnen aller in NRW relevanten Parteien ins Düsseldorfer Rathaus ein, kulturpolitisch Stellung zu beziehen. Dabei nutzt sie die strukturelle Ähnlichkeit von Kunst und Politik, Bühne und Plenarsaal, um die Rolle und Zukunft von Kunst zu diskutieren.

Ergänzt wird das Programm durch Gespräche, Vorträge, Konzerte (unter anderem von Schwabinggrad Ballett & Arrivati und Golf) und gemeinsame Abende im vom Düsseldorfer/Kölner Kreativkollektiv Labor Fou gestalteten Festivalzentrum in den FFT Kammerspielen. Eine Materialsammlung im Netz greift spezifische Fragen der freien Theaterszene auf und stellt sie zur Diskussion.

Die Arbeiten der diesjährigen Impulse sind Teil einer Suchbewegung. Denn vielleicht ist es das, was wir gerade künstlerisch, politisch tun können: nicht stehenbleiben, nicht resignieren, nicht larmoyant besitzstandwahrend auf Autonomie beharren, sondern künstlerisch und politisch handeln, auch wenn unklar ist, wo genau wir damit landen werden. Oder, um es mit einer unlängst von Brian Eno ausgegebenen Losung zu sagen, die sowohl sofortiges Handeln, als auch fortwährendes Weiterentwickeln einschließt: „Start cooking… Recipe will follow!“

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