Impulse Theater Festival

Mülheim an der Ruhr, Düsseldorf und Köln

13. - 24. Juni 2018

Akademie des Prekären #2 — Unsichere Begegnungen

Über den Zusammenhang von Methode und Ästhetik im Freien Theater
20.-23.06., studiobühneköln
Leitung: Sandra Umathum  

Wie wirken sich bestimmte Produktionsweisen und Probenverfahren auf Ästhetiken und Aufführungsformate aus? Und wie generieren Künstler*innen ihr Material? In der Freien Szene selbst wird viel über diese Fragen nachgedacht, aus wissenschaftlicher Perspektive wurden sie aber noch kaum erforscht.

Vier viertägige Workshops unternehmen Annäherungen an diese Phänomene. Als Fallstudie dient dabei das Prinzip der „unsicheren Begegnung“. Denn häufig finden die Künstler*innen der Freien Szene ihr Material in Kontexten, an Orten oder bei Menschen, auf die sie sich in teils aufwändigen Rechercheprozessen zubewegen. Dabei treten sie zunehmend als Forschende, Auszubildende, Lernende, Reisende oder Ethnograf*innen auf.

Deshalb arbeitet auch die Akademie mit ungewohnten Konstellationen: Jeder Workshop wird von einem Tandem aus je einer*m Vertreter*in der Kunst und der Nicht-Kunst geleitet. Gemeinsam mit den Teilnehmer*innen entwerfen und erproben diese Tandems neuartige Formen der künstlerischen (Zusammen-)Arbeit und schreiben so die zunehmende Verflechtung von Kunst und Nicht-Kunst bzw. von Praxis und Theorie exemplarisch fort. Wie lassen sich beide Seiten sinnvoll aufeinander beziehen? Wie können sie voneinander lernen und profitieren, nicht nur von der Expertise des Gegenübers, sondern auch von dessen Nicht-Wissen und Nicht-Können? Und inwiefern kann diese Akademie selbst zum Modellfall einer prekären Verzahnung von Kunst und Nicht-Kunst geraten?

Am 20.06. und am 22.06. fahren die Teilnehmer*innen außerdem mit Shuttle-Bussen zum Showcase-Programm im Ringlokschuppen nach Mülheim an der Ruhr. Einen weiteren Abend verbringen sie mit einer Person aus Köln, den „Köln-Pat*innen“, die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen entstammen und etwas von ihrem Köln zeigen und erzählen: von ihren Arbeitsplätzen, Wohnungen, alltäglichen Wegen, Lieblingsplätzen oder -menschen.

Zum Besuch der Akademie #2 ist eine Anmeldung erforderlich.
Nähere Informationen zur Anmeldungund zu den Kosten finden Sie hier.

© Jeka Kotenko
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Workshop #1: KONGO IN KÖLN. CHINAFRIKA.MOBILE

Leitung: Daniel Kötter mit dem Mobilfunkingenieur Christian Chokola Muhigwa
Sprache: Deutsch und Englisch

Rohstoffgewinnung in Zentralafrika, Arbeitsbedingungen in China und Medienentwicklung in Westafrika landen als Handy in unserer Hosentasche. Was hat das mit Theater zu tun?
Gemeinsam mit dem kongolesischen Mobilfunkingenieur Christian Chokola Muhigwa sowie mit dem Filmemacher und Regisseur Daniel Kötter entwickeln die Workshop-Teilnehmer*innen an konkreten Locations in und rund um Köln performative und filmische Strategien zur Hervorbringung von augmented reality und erforschen, wie diese die Zusammenhänge von globaler Produktion und lokaler Nutzung erfahrbar machen können.

Biografien

Daniel Kötter ist Filmemacher und Musiktheaterregisseur. Seine Arbeiten verbinden Techniken des strukturalistischen Experimentalfilms mit performativen und dokumentarischen Elementen. Zu seinen Hauptwerken zählen „Ökonomien des Handelns 1–3: KREDIT, RECHT, LIEBE“ (mit Hannes Seidl, 2013–2016), die Mehrkanaltrilogie „Arbeit und Freizeit“ (2009–2011) oder die Film-, Performance- und Diskursreihe „state-theatre“ (mit Constanze Fischbeck, 2009–2014). Von 2014 bis 2018 arbeitete er u. a. mit Jochen Becker (metroZones) am Recherche-, Ausstellungs- und Filmprojekt „CHINAFRIKA. Under Construction“.

Christian Chokola Muhigwa ist in der Demokratischen Republik Kongo geboren und studierte Naturwissenschaften und Ingenieurwesen in Burundi und Deutschland. Er ist ein junger Unternehmer, der an Bauingenieurentwürfen und architektonischen Konzepten arbeitet, um seiner Gemeinde dabei zu helfen, die Anarchie in der Stadtplanung Schritt für Schritt zu überwinden. Außerdem ermutigt er Stadtplanende, Architekt*innen, Künstler*innen, Ingenieur*innen und Techniker*innen, sich um ein besseres Verständnis von Gemeinschaften zu bemühen und deren Entwicklung zu begünstigen, indem sie Informationen über computergestützte Methoden und neueste Technologien bereitstellen.

Workshop #2: APPROPRIATION, AFFILIATION, AND OTHER A

Leitung: Lina Majdalanie mit dem Staatsanwalt Aljoscha Leder
Sprache: Englisch

„Every name in history is I“, sagt Friedrich Nietzsche (1844–1900) — „and I is other“ fügt die queere türkische Künstlerin Zişan (1894–1970) hinzu.
Ausgehend von Fotografien aus Familienalben, von alten oder aktuellen Zeitungsartikeln, von geliebten oder verschmähten Sätzen aus literarischen sowie theoretischen Texten erkundet dieser Workshop in verschiedenen Übungen die Relationen zwischen privater und öffentlicher Sphäre, Biografien und Geschichte, Identität und Alterität, von hier und dort, Realität und Fiktion, Kunstwerk und Dokument, zwischen dem Vertrauten und Unbekannten, dem Vertikalen und Horizontalen.

Biografien

Lina Majdalanie ist in Beirut geboren und arbeitet als Schauspielerin, Regisseurin und Autorin. Sie schrieb, inszenierte und performte zahlreiche Stücke, so etwa „Do I know you?“ (2017), „33rpm and a few seconds“ (2012), „Photo-Romance“ (2009) oder „Biokhraphia“ (2002). Zudem ist sie international als Kuratorin und Dozentin tätig. Ihre Arbeiten befragen die Möglichkeiten und Grenzen der Darstellbarkeit und suchen nach Formen einer politischen Sprache in Zeiten der Globalisierung und der digitalen Technologie. Im April 2015 wählte sie Lina Majdalanie als ihr Pseudonym.

Aljoscha Leder wurde in Berlin geboren und ging in Berlin und Sevilla zur Schule. Er studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität Berlin sowie an der University of Westminster. Hierbei befasste er sich insbesondere mit dem Wirtschaftsrecht sowie der Rechtsgeschichte und der Rechtsphilosophie. Nach seinen juristischen Staatsexamina und Erfahrungen am Kammergericht Berlin, beim Amtsgericht Neukölln, der Siemens AG und dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz wurde er im Jahr 2017 zum Staatsanwalt beim Landgericht Berlin ernannt.

Workshop #3: PLATZVERWEISE UND ANDERE GESTEN DER EXKLUSION

Leitung: Hofmann&Lindholm mit der Juristin Yasmin Mahmoudi
Sprache: Deutsch

Inwiefern kann Kunst die durch Konventionen und Gesetze gesicherte Ordnung gefährden? Und umgekehrt: Wie stört wiederum diese Ordnung die Freiheit der Kunst?
Der Workshop erforscht Grauzonen zwischen Legalität und Illegalität. Hierfür begeben sich Hofmann&Lindholm gemeinsam mit einer*m Jurist*in und allen Teilnehmer*innen in öffentliche Räume, um mittels künstlerischer Strategien zulässige und strafbare (Nicht-)Handlungen selbst zu erproben und deren Konsequenzen zu ergründen.

Biografien

Hofmann&Lindholm haben in den 1990er-Jahren Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert und leben seit 1997 in Köln. Ihre Projekte an den Schnittstellen von szenischer, bildender und akustischer Kunst zeichnen die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen sowie die Erkundung neuer Erzählweisen, Bildsprachen und Formate aus. Seit 2000 entwickeln sie u. a. szenische Gebrauchsanweisungen mit wechselnden Komplizenteams, Interventionen im öffentlichen Raum und Eingriffe in vertraute Systeme oder Lebensräume.

Yasmin Mahmoudi ist Kunstrechtlerin und Fachanwältin für gewerblichen Rechtsschutz. Sachbeschädigung, Diebstahl, Fälschung, Beleidigung, Gotteslästerung, Pornografie, Gewaltverherrlichung … Was darf die Kunst? Das Kunstrecht ist auf die Feinheiten dieser Materie ausgerichtet. Die hierauf spezialisierte Fachanwältin versteht sich als Beraterin von Künstler*innen, deren Arbeiten vermeintliche Grenzen überschreiten und hat hierzu in den letzten Jahren zahlreiche Artikel veröffentlicht. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln schloss sie ein Rechtswissenschaftsstudium an der Université de Lausanne an, bevor sie bis zum Abschluss als Diplom-Juristin 2003 an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn wechselte. Seit 2005 ist sie selbstständig als Rechtsanwältin tätig.

Workshop #4: SHIFT ABILITY. PRAKTIKEN DER EINSCHRÄNKUNG UND ERWEITERUNG

Leitung: Doris Uhlich mit der Inklusionsaktivistin, Sexualberaterin und Performerin Patrizia Kubanek (dorisdean)
Sprache: Deutsch

Was gilt als körperliche Fähigkeit? Was als Unvermögen? Welche Kriterien und (Vor-)Urteile verbinden sich mit diesen Zuschreibungen? Und was gerät durch sie aus dem Blick?
Gemeinsam mit Doris Uhlich und Raul Krauthausen stellen die Workshopteilnehmer*innen in einer Reihe von Recherchen das Verhältnis von Können und Nicht-Können auf die Probe. Sie schränken ihre Sinne oder Bewegungsmöglichkeiten ein, relativieren also gewohnte körperliche Fähigkeiten und erkunden, was sich daraus ergibt: in Bezug auf die Selbstwahrnehmung, eine konkrete Situation, die Umwelt, vor allem aber in Bezug auf das Erfordernis eines anderen Könnens oder eines anderen Nachdenkens über das Nicht-Können.

Biografien

Doris Uhlich studierte Pädagogik für zeitgenössischen Tanz am Konservatorium Wien. Von 2002 bis 2009 war sie Performerin bei theatercombinat; seit 2006 entwickelt sie eigene Projekte. Im Zentrum ihres Werks steht die Beschäftigung mit Alltagsgesten oder, wie etwa in SPITZE (2008) oder „Come Back“ (2012), mit künstlichen Gesten wie dem strikten Bewegungscode des klassischen Balletts. Ihre Performances sind oft Auseinandersetzungen mit Schönheitsidealen und Körpernormen, so etwa „mehr als genug“ (2009), „more than naked“ (2013) und „Every Body Electric“ (2018). Für „Ravemachine“ (2016) hat sie gemeinsam mit Michael Turinsky 2017 den Nestroy-Spezialpreis für „Inklusion auf Augenhöhe“ gewonnen. 

Patrizia Kubanek wurde in Kattowitz geboren. Mit 8 zog sie mit ihren Eltern nach Düsseldorf. Kurze Zeit später wurde bei ihr eine spinale Muskelatrophie diagnostiziert. Nach dem Abitur studierte sie an der Universität zu Köln Psychologie und leitete mehrere Jahre das Autonome Behindertenreferat der Universität und beriet Studierende mit Behinderung. Seit 2008 arbeitet sie beim Zentrum für Selbstbestimmtes Leben Düsseldorf e.V. und ist dort beratend tätig. Am ISBB (Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter) machte sie eine Fortbildung zur Sexualberaterin. Sie ist Mitglied des Performancekollektivs dorisdean.


Begegnungen auf dem Prüfstand — Abschluss ohne Ende

23.06., 14:00-16:00
Eintritt frei. Öffentlich für alle Festivalbesucher*innen

Der letzte Nachmittag führt alle Erlebnisse und Erfahrungen zusammen: In vier Pecha-Kucha-Vorträgen teilen die beiden Berichterstatter*innen Adam Czirak und Lea Langenfelder ihre Eindrücke von den einzelnen Workshops. In Tischgesprächen werden die jeweiligen Kausalitäten von Produktionsverfahren und Ästhetik diskutiert. Außerdem gibt es Kuchen. Neben den Workshop-Teilnehmer*innen sind auch weitere Gäste herzlich willkommen: die Köln-Pat*innen ebenso wie die interessierte Öffentlichkeit.

Biografien

Adam Czirak studierte Germanistik, Theaterwissenschaft sowie Allgemeine und Vergleichenden Literaturwissenschaft in Budapest und Berlin. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Institut für Theaterwissenschaft. Als Dramaturg begleitet er die performativen Installationen von Naoko Tanaka. Zuletzt ko-kuratierte er die Ausstellung „Left Performance Histories“ (nGbK Berlin, 2018). Zu seinen Publikationen gehört u.a. „Partizipation der Blicke. Szenerien des Sehens und Gesehenwerdens in Theater und Performance“ (2012).

Lea Langfelder studierte Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte in Berlin, ist freischaffende Künstlerin und Autorin. Seit 2014 konzipiert sie Inszenierungen, Performances und Installationen; seit 2010 ist sie in dem Mannheimer Kollektiv Theater Performance Kunst Rampig tätig und arbeitet seit 2011 außerdem mit dem Hamburger Künstlerkollektiv HGich.T., ihrem Performanceduo WARTE11 und mit der Szenografin Sophie Lichtenberg zusammen.