Kleines Impulsreferat

20 April 2017

PROLOG. Wir sind Markus&Markus. Hallo. Und wir erwarten vom Theater:

1. dass es das Leben derer, die an einer Inszenierung arbeiten, verändert. Das heißt für die Theaterschaffenden, dass sie nicht nur an Oberflächen kratzen, sondern sich selbst aufs Spiel setzen. Dass man also nicht nur auf einen Themenkomplex draufschaut, sondern aus ihm hervor. Und dass es eine wechselseitige Beziehung gibt. Der Mensch verändert sich durch das Projekt. Und das Projekt entwickelt sich wiederum durch diese Veränderung. Dass sich die Motivation einer nachhaltigen Veränderung der eigenen Biografie, eines Einschnittes, in einem Theaterprojekt begründet, ist nicht außergewöhnlich. Es ist die logische Konsequenz, wenn man sich an den Rändern des Darstellbaren bewegt und Grenzen der theatralen Rollenaneignung sprengt. Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.

2. dass es zum Ziel hat, dass alle den Theaterraum als andere Menschen verlassen, als sie ihn betreten haben. Eure Katharsis ist unser Auftrag!

3. dass es eineN immer wieder vor neue Herausforderungen stellt. Wenn Du eine Sache gut kannst, dann such Dir eine neue. Nur so gibt es eine Weiterentwicklung. Das beinhaltet das Potenzial, Fehler zu machen, an denen man wachsen kann. Als wir zum Beispiel beschlossen, eine Ibsen-Trilogie zu bauen und Kampnagel fragten, ob sie ein Partner für das Vorhaben sein wollten, sagten sie uns ab. Das ist nicht weiter wild, das kommt vor. Wir schlugen etwas vor und ihnen gefiel es nicht. Aber eine Begründung war doch interessant: Uns wurde gesagt, dass wir nicht so einfach jetzt Ibsen machen könnten. Wir müssten erstmal sieben Jahre unser Profil schärfen, indem wir das ästhetisch fortführen, was wir zuvor produziert hatten. Damit das Publikum und die Öffentlichkeit verstehen, wer wir sind. Hatte man uns ein Jahr zuvor noch ebendort für unsere Unberechenbarkeit gelobt, hieß es jetzt: Seid bitte unberechenbar, aber so, dass das für uns und die RezipientInnen berechenbar ist. Aber Weiterentwicklung ist immer ein Prozess, der nur durch Wagnisse und die damit verbundenen Erfahrungen voranschreitet. Antworten auf die Frage nach dem Grund des Scheiterns bieten so viel zuvor ungenutztes Potenzial, dass man sich eigentlich nur auf den nächsten Fehler freuen kann – auch wenn es im ersten Moment schmerzt. Nun: Wir hatten seitdem keine Aufführungen mehr auf Kampnagel. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder.

4. dass es also Berechenbarkeit unterläuft. Das gilt insbesondere auch für berechenbare Unberechenbarkeit.

5. dass es ein heterogenes Publikum versammelt. Das Theater wird zu seiner Polis-Idee zurückgeführt, nämlich die Gesellschaft, in der wir leben, zu verhandeln und zu versammeln. Die heterogene Zusammensetzung des Publikums aus einerseits theaternahen und gleichzeitig theaterfernen RezipientInnen ist eine große Qualität: Sie mündet in kontrovers diskutierte Theaterabende. Wenn alle ohnehin im selben Haltungs- und Meinungssud schmoren, dann wird es nur eine selbstgefällige, sich selbst bestätigende Soße. Es ist nicht relevant, wenn sich eine Gruppe, die sich selbst weitgehend einig ist in ihren (politischen) Ansichten, Abend für Abend für ihre deckungsgleichen Erkenntnisse feiert. Ohne Kontroverse kein Fortschritt.

6. dass also die Behauptung, Theater sei demokratisch, gleichberechtigt und integrativ, nicht nur behauptet wird, sondern stattfindet. Denn die Welt wird alt und mit zunehmendem Alter schlechter.

7. dass es seine Besonderheit als Konglomerat aus ästhetischem Objekt und sozialem Raum voll ausnutzt. Und das damit einhergehende politische Potenzial spielerisch ausbaut und dessen Grenzen testet. Als Versammlungsort, der auch die Ränder unserer Gesellschaft einschließt, in dem Positionen und Verhältnisse dekonstruiert, neu entworfen oder modifiziert werden. Doch still! Mich dünkt, ich wittre Morgenluft.

8. dass es Geschichten erzählt. Weil wir Menschen im Kern narrative Wesen sind: Mit unseren Geschichten erzählen wir uns selbst und anderen, wer wir sind. Denn unser Selbst steckt nicht in einem bestimmten Hirnareal, sondern es entsteht aus einem Netz all unserer Geschichten und Anekdoten, aus denen wir unsere Identität immer wieder neu zusammenweben.

9. dass es keine Moralische Anstalt ist. Wir sollten ehrlich zu unserem Publikum sein: Wir sind keine Jesusse. Wir werden nicht die Vorkämpfer Eurer Ideologien sein. Folget uns nicht, wir wissen es auch nicht so genau.

10. dass es ein Supermedium ist. In ihm wird mit zahlreichen Medien gearbeitet. Musik, Szene, Text, Mode, Video, Raum, Skulptur. https://www.youtube.com/watch?v=WYeDsa4Tw0c Es gibt unzählige mögliche Ebenen: Fiktives Material, dokumentarisches Material, mockumentarisches Material, Dokumente, Reenactments, dramatische Texte, Prosatexte. Und so weiter. Das Medium ernst zu nehmen, heißt, es in der Arbeit in seiner ganzen Bandbreite wahrzunehmen. Das Spiel mit der Verzahnung der Ebenen bis zur Unkenntlichkeit der Einzelteile, das Ausloten der Grenzen des Mediums und die Forschung an seiner Erweiterung und Weiterentwicklung gehören zur Basis des Handwerks.

11. dass es von seinen tradierten Verabredungen ausgeht, sie kennt und sie gleichermaßen erschüttert. Das gilt für die bequeme Rezeptionssituation des Publikums, die Als-Ob-Verankerung, den Umgang sowohl mit den personellen wie den ästhetischen Hierarchien. Und für die Annahme, dass es sich um ein fiktionales Medium handelt. Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen. Es ist immer real und fiktional zugleich. Dessen muss es sich bewusst sein und beides ernst nehmen.

12. dass es sich selbst ernst nimmt. Die Behauptung, Theater sei eine relevante Plattform, die gesellschaftsbildend oder erhaltend ist: Die stimmt schon lange nicht mehr. 2,5 % der Menschen in Deutschland gehen regelmäßig ins Theater. Ach, es geschehen keine Wunder mehr! Vielleicht könnte dieses Ganze irgendwann Relevanz erhalten, wenn man nicht mehr von vornherein davon ausgehen würde, dass das Theater eine hätte. Das ist wie mit guter Popmusik, die will auch nichts, oft erreicht sie aber durchaus Menschen, berührt, sozialisiert und/oder transformiert sie. Vielleicht hinkt der Vergleich – aber er ist auch nicht so relevant.

42. dass sich alle mal kurz locker machen und durchatmen, denn das Erdentreiben wie´s auch sei, ist immer doch nur Plackerei.

Markus&Markus hat sich als Theaterkollektiv einen Namen mit einer sehr eigenen, radikalen Form politischen Theaters gemacht. Häufig lösen ihre Aufführungen öffentliche Debatten aus, in denen sich die Grenze zwischen Inszenierung und Realität auflöst. Beim Impulse Theater Festival zeigten sie 2015 ihre Fassung von „Gespenster“. Markus&Markus sind Katarina Eckold, Lara-Joy Hamann, Markus Schäfer und Markus Wenzel.

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